Wie man zum Zug kommt, und warum man das tun sollte

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Author

Alex

Published

June 19, 2025

Modified

June 19, 2025

Noch relativ einsam liegt der Bahnsteig des Bahnhofes Kandy an diesem Morgen da. Es ist noch recht früh, kurz vor acht, in gut einer Stunde wird der Zug abfahren, der uns heute nach Ella bringen wird. Nur ein paar Reisende sitzen auf den Bänken oder ihren Backpacks herum und warten geduldig. Nahezu alle sind Touristen wie wir, und nahezu allen steht die Uhrzeit ins Gesicht geschrieben. So sieht also Urlaub aus.

Dabei war der Weg zu diesem Bahnsteig schon eine kleine Odyssee für sich. Gut vorbereitet, wie wir waren, haben wir vorab keine der begehrten Sitzplatzreservierungen mit der phänomenalen Aussicht auf die bergige Landschaft Sri Lankas organisiert, von denen zahlreiche Reisende in ihren Travelblogs und auf Youtube schwärmen. Die Zugfahrt zwischen Kandy und Ella zählt zu den Must-Dos einer Reise ins Glückliche Land, was der Name wohl übersetzt bedeutet, und entsprechend beliebt ist die Strecke dann auch. Online war somit wenige Tage vorher schon alles ausgebucht, teilweise schaut man wohl schon Monate vorher in die Röhre.

Kein Problem, erklärte uns der nette Herr am Schalter des Bahnhofes am Tag unserer Ankunft in Kandy. Es ginge immer, auch nicht reservierte Plätze zu buchen, die seien unbegrenzt verfügbar, ebenso viele, bis der Zug physisch voll war. Nur vor dem Datum eigentlichen Reise könne er uns leider keine solchen Tickets verkaufen, das ginge erst am selben Tag. Sie machen um vier Uhr morgens auf, also kein Problem. Die lange Schlange, an der wir auf diese Auskunft warten mussten, machte uns schon etwas unsicher, und so standen wir am betreffenden Tag dann pünktlich um halb fünf vor dem Bahnhofsgebäude, das Gott sei Dank nur einen kurzen Fußmarsch von unserem Hotel entfernt lag. Halb noch am Ppennen und die Morgengebetsrufe eines benachbarten Tempels im Ohr blickten wir auf einen geschlossenen Schalter, denn die einzigen, die bisher zum Dienst erschienen waren, waren die zahlreichen Straßenhunde, die mit bettelnden Blicken ein erstes Frühstück erhofften. Jedoch waren wir nicht die Einzigen, ein paar Reisende warteten schon geduldig vor der noch leeren Glasscheibe. Ganz falsch konnten wir nicht sein. Also stellten wir uns brav an, warteten noch eine Weile in der Schlange, die in dieser Zeit beträchtlich wuchs. Irgendwann öffnete dann der Kartenverkauf, und nach einer weiteren Viertelstunde Warterei erklärte uns ein anderer Herr, leider könnte er uns die Tickets erst ab gut eineinhalb Stunden vor Abfahrt des Zuges verkaufen, also erst in gut zwei Stunden. Anstatt die Scheibe einzuschlagen, den Herrn am Schlafittchen zu packen und ihn freundlich zu fragen, ob er uns verarschen wolle, dackelten wir artig zurück zum Hotel. Buddha sei Dank hatten wir noch nicht ausgecheckt, und konnten uns wenigstens in Ruhe fertig machen, um besagte zwei Stunden später wieder in der Halle zu stehen. Dieses Mal konnten wir unsere Tickets problemlos erstehen, übrigens an einem ganz anderen Schalter als zuvor. Und so ging es endlich los auf den Bahnsteig, um auf den Zug zu warten. Und so stehen wir jetzt hier.

Man blickt nicht direkt durch bei den Fahrpreisen

Man blickt nicht direkt durch bei den Fahrpreisen

Frühaufsteher haben es hier leichter

Frühaufsteher haben es hier leichter

Je näher die geplante Abfahrt rückt, desto mehr Leute gesellen sich zu uns, nach wie vor fast ausschließlich Touristen. Wahrscheinlich die Schlauen mit den Sitzplatzreservierungen, die keine frühmorgendlichen Warteaktionen nötig hatten. Wir trösten uns damit, dass sie dafür wohl den gut sechsfachen Reisepreis bezahlen mussten. Was das in Rupien bedeutet, verdränge ich lieber schnell. Insgesamt gibt es in den Zügen drei Klassen, von denen die erste, mit Klimaanlagen und bequemen Sesseln ausgestattet, wohl weitestgehend von Touristen dominiert wird. Die zweite und insbesondere dritte wird auch von Einheimischen frequentiert, da diese natürlich die Eisenbahn als ganz normales Transportmittel nutzen möchten, schöne Aussicht hin oder her. Lässig an mein Backpack gelehnt, spitze ich immer wieder in die Richtung, aus der der Zug eintreffen sollte, und versuche zu erahnen, wo er wohl halten mag, und wo welche Klasse zu finden ist. Ich rechne mit einem wilden Gedränge bei seiner Ankunft, ähnlich wie bei überfüllten Pendlerzügen in Deutschland. Ein paar mal sieht man in der Entfernung einen Zug ankommen, der dann aber auf einem anderen Gleis hält oder gar nicht erst in den Bahnhof einfährt, was unter den Wartenden eine merkliche Unruhe hervorruft.

Irgendwann, und das sogar recht pünktlich, hält dann aber ein Zug genau auf unser Gleis zu. Los geht das Gewusel am Bahnsteig, das sich noch mal verstärkt, als wir feststellen, dass der Zug auch so schon so recht voll ist. Viele Reisegäste sind schon vor Kandy eingestiegen, insbesondere viele Einheimische, die wohl bereits ihre Erfahrungen gesammelt haben. Trotzdem schaffen wir es recht problemlos in einen der Waggons der zweiten Klasse. Groß auswählen, ob das jetzt die Richtige ist, schaffen wir in der Hektik sowieso nicht. Ein kurzes planloses, eher alibimäßiges Hin- und Herlaufen im Waggon später, stehen wir dann im Mittelgang, inmitten eines Organismus aus anderen Reisenden und Gepäckstücken, der sich jedes Mal biegt und krümmt, wenn ein hoffnungsvoll Suchender der Meinung ist, irgendwo müsste es doch noch einen Sitzplatz geben. Aber der Zug ist bis auf den letzten Platz besetzt, soweit wir erspähen können, und ganz viele eigentlich nicht vorhandene Plätze noch obendrauf. Man richtet sich resignierend ein, setzt sich auf den Backpack, sofern möglich, verrenkt seine Gliedmaßen auf der Suche nach einer Möglichkeit zum Festhalten, und ruckelnd fährt die Eisenbahn an. Ich habe gehört, die rechte Seite in Fahrtrichtung ist die szenisch deutlich interessantere, also drehe ich mich entsprechend hin. Ein von der Gepäckablage schwingendes Rucksackbändel in meinem Blickfeld versucht, mich zu hypnotisieren, aber nicht einmal das wird mich davon abhalten, diese Fahrt zu genießen.

Einfahrt

Einfahrt

Kuschelig

Kuschelig

Zunächst fahren wir durch die Vororte von Kandy, und die meiste Zeit sehe ich durchs Fenster vor allem grasbewachsene Schallschutzgräben. Ob das der Zugstrecke zu ihrem Ruf verholfen hat, wage ich zu bezweifeln, aber schließlich haben wir ja noch über sechs Stunden Fahrt vor uns. Wir verlassen die Stadt, und die Aussicht lichtet sich. Nun geht es vorbei an weiten Feldern mit Bananenstauden, tiefgrünen Wäldern und kleinen Dörfern. Immer wieder zwängen sich Verkäufer mit großen Körben durch den Waggon, um Süßigkeiten, Snacks, Getränke und Obst zu verkaufen, jedes Mal biegen sich die Leiber nur so, Schlangenmenschen gleich, um sie durchzulassen, und wie durch ein Wunder funktioniert es immer wieder. Die Menge und Vielfalt der angebotenen Speisen und Getränke, deren Namen laut ausgerufen werden und den nächsten Verkäufer schon von Weitem ankündigen, lässt das durchschnittliche Bordbistro der Deutschen Bahn schnell alt aussehen. Sie sind fester Bestandteil des Eisenbahnverkehrs in Sri Lanka, und mehrmals werden wir auf dieser Fahrt anhalten, um den ein oder anderen Händler ein- und aussteigen zu lassen.

Die Aussicht am Anfang

Die Aussicht am Anfang

Aussicht ein bisschen später

Aussicht ein bisschen später

Die Landschaft gleitet vor dem Fenster dahin, und so langsam erkennen wir, weshalb die Strecke solchen Ruhm genießt. Malerische Berglandschaften wachsen vor unseren Fenstern empor, durchsetzt mit Teeplantagen und kleinen Ortschaften. Eine Landschaft durchsetzt mit unzähligen Schattierungen von Grün, überstrahlt von einem leuchtend blauen Frühlingshimmel. Die Landschaft wird zunehmend hügeliger, und da der Zug sich selbst auf einer etwas erhöhten Position bewegt, ermöglicht die Strecke atemberaubende Aussichten auf die von dichtem Regenwald behangenen Gipfel, die von einem strahlend blauen Frühlingshimmel gekrönt werden.

Je malerischer die Umgebung wird, desto umkämpfter werden die Plätze an den stets offenen Ein- und Ausstiegsbereichen der Waggons. Richtige Türen wie in deutschen Zügen gibt es hier nicht, und so hat man von dort aus wohl den freiesten Blick auf die Umgebung, und die mit Abstand besten Fotomotive. Das wohl beliebteste Bild ist man selbst, wagemutig aus der Tür vor der postkartenreifen Dschungelkulisse hängend, wahlweise mit dem Selfiestick oder aus einem benachbarten Passagierfenster abgelichtet. Was im hiesigen Regio eine sofortige Notbremsung und Verweis des Zuges zur Folge hätte, gehört zwischen Kandy und Ella zum Pflichtprogramm, und an den Türbereichen bilden sich zum Teil regelrechte Warteschlangen. Jeder wartet geduldig auf die Chance, seine Zugfahrt auf einzigartige Weise zu verewigen. Und so gleicht der Zug an manchen Stellen eher dem berüchtigten Pendlerzügen in Mumbai, oder einer Einheit selfiehungriger Feuerwehrleute auf dem eiligen Weg zum nächsten Einsatz.

Verkäufer warten darauf, mitgenommen zu werden

Verkäufer warten darauf, mitgenommen zu werden

Und auch wir lassen uns nicht lumpen, und verewigen die in vielen Grüntönen scheinende Kulisse auf unseren Smartphones. Mittlerweile hat der Zug einige Orte und Bahnhöfe passiert, in denen mal mehr, mal weniger Leute ihre Fahrt beendet oder begonnen haben, und das anfängliche Menschentetris, das jede Ein- und Ausstiegsprozedur begleitete, hat sich etwas gelegt. Hinter dem Örtchen Nuwara Elyia ist es uns gar gelungen, einen Sitzplatz zu ergattern, und so können wir die weiteren Abschnitte ganz bequem sitzend genießen, wenn auch von der “schlechten” Seite des Zuges, die immer noch ziemlich gut ist. Mit ein paar Samosas, die die fleißigen Verkäufer auch hier noch regelmäßig feilbieten, ist das Ganze noch mal angenehmer. Die Snacks sind eingewickelt in Papier, das offensichtlich mal Aufgabenzettel für Klassenarbeiten gewesen ist, vielleicht eine Hommage an die Papierknappheit, die Sri Lanka vor einigen Jahren heimgesucht hat. Und so kann man sich bei Langeweile sogar kostenlos in Chemie oder Gemeinschaftskunde bilden, Singhalesisch- , oder zumindest Englischkenntnisse vorausgesetzt. Dieser Streckenabschnitt ist der wohl schönste und bekannteste der ganzen Fahrt nach Ella, und so kommen wir aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und haben keine Zeit für Gymnasialstoff. Der Zug fährt jetzt durch enge Schluchten mitten im Urwald, und steile Berghänge in sattem Grün ragen vor unseren Fenstern auf. Dann wieder fahren wir durch kleine Tunnel, an denen die Selfieakrobaten an der Zugwand sich gehörig vorsehen müssen, um nicht “auf der Strecke” zu bleiben, und auf der anderen Seite artet unversehens der Ausblick auf ein gigantisches Tal, durchsetzt mit kleinen Ortschaften, Teefeldern und Straßen, von hier oben nicht mehr als schmale Bänder, die sich durch die Landschaft ziehen. Wir kommen aus dem Knipsen gar nicht mehr heraus.

Der blaue Punkt in Google Maps wandert näher und näher an das ersehnte Ziel, aber irgendwie wollen wir noch nicht, dass diese Reise hier endet…. Doch irgendwann fahren wir dann doch in den überraschend kleinen und leeren Bahnhof des Örtchens Ella ein, der sich dann aber rasch mit Hektik und Leben füllt, als unser Zug seine menschliche Fracht auf den Bahnsteig spuckt. In einer langen Schlange aus Touristen watscheln wir mit unseren Backpacks geduldig dem Ausgang entgegen, vorbei an den auf den Gegenzug Wartenden, die mit aufgerissenen Augen doch ganz froh zu sein scheinen, diese Richtung für ihre Reise gewählt zu haben.

Ankunft

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